DEMOKRATIE Der lange Weg
zum Frauenstimm-
und Wahlrecht
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Frauenstimmrecht Das alte Vorur-
teil, Frauen seien weder zu höherer Bildung noch zu selbstständigem Handeln und zur Ausübung von Staatsämtern fähig, hielt sich hartnäckig. Erst im 19. Jahrhundert forderte eine Frauenbewegung die politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung für die Frauen ein.
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Der lange Weg zum Frauenstimmrecht

oder: In der Direkten Demokratie dauert's etwas länger

Einführung des Frauenwahlrechts in einigen Staaten des westlichen Kulturkreises:

  • 1917 Sowjetunion
  • 1918 Österreich
  • 1919 Deutschland
  • 1920 USA
  • 1928 Grossbritannien
  • 1944 Frankreich
  • 1945 Italien
  • 1971 Schweiz

Kleine Chronologie zum Frauenstimmrecht in der Schweiz

1868 Vergebliches Begehren von Zürcher Frauen um aktives und passives Wahlrecht anlässlich einer kantonalen Verfassungsrevision
1890 Gründung des Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes als Dachorganisation der in den 1880er Jahren entstandenen lokalen Arbeiterinnenvereine.
1893 Der Schweizerische Arbeiterinnenverband fordert das Frauenstimmrecht
1904 Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) fordert in ihrem neuen Parteiprogramm u.a. die Einführung des Frauenstimmrechts.
1909 Verschiedene anfangs des 20. Jahrhunderts entstandene Stimmrechtsvereine bilden 1909 den eher bürgerlich ausgerichteten Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF). Der SVF entfaltet setzt sich für sämtliche Aspekte der Gleichberechtigung der Frauen ein.
1912 Die SP fordert mit einem parlamentarischen Vorstoss im Grossen Rat [Kantonsparlament] von St. Gallen das kantonale Frauenstimmrecht. Der Vorstoss wird von der bürgerlichen Mehrheit abgelehnt. Auch in Basel-Stadt, Bern, Genf, Neuenburg, Zürich und Waadt hat das Frauenstimmrecht in den folgenden Jahren keine Chance.
1919-1921 Das Frauenstimmrecht wird in kantonalen Volksabstimmungen in Genf, Neuchâtel, Basel-Stadt, Zürich, Glarus und St. Gallen abgelehnt.
1918 Das Frauenstimmrecht gehört zu den Hauptforderungen der Gewerkschaften beim Generalstreik.
1919 Der Nationalrat überweist zwei Motionen [Auftrag des Parlamentes an die Regierung] zur Einführung des Frauenstimmrechtes in der abgeschwächten Form von Postulaten [unverbindliche Forderung]. Der Bundesrat [Bundesregierung] schubladisiert die Postulate jahrzehntelang.
1920-1929 Gegnerinnen des Frauenstimmrechts aus dem Bürgertum formieren sich und werben für klar abgegrenzte Verantwortungsbereiche von Mann und Frau: "Die Frau gehört ins Haus!"
1929 Eine Petition des SVF, verschiedener Frauenorganisationen, der SPS und der Gewerkschaften mit 249'237 Unterschriften (170'397 von Frauen und 78'840 von Männern) fordert das Frauenstimmrecht auf Bundesebene. Sie zeitigt keine sichtbaren Folgen.
1929-1939 Wie immer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten werden in der Weltwirtschaftskrise zuerst die Frauen an den Herd zurück geschickt. Die gesellschaftliche Grosswetterlage ist nicht günstig für Frauenanliegen.
1939-1945 Während des 2. Weltkriegs übernehmen viele Frauen Aufgaben von den z.T. monatelang im Aktivdienst abwesenden Männern.
1946-1951 Die Aufbruchsstimmung der ersten Nachkriegsjahre führt zur Verwirklichung vieler alter Forderungen (Alters- und Hinterlassenenvorsorge AHV, Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten), aber die Frauen müssen weiter auf die Gleichberechtigung warten. Selbst in fortschrittlichen Kantonen wie Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Genf, Tessin, Zürich, Neuchâtel, Solothurn und Waadt hat das Frauenstimmrecht bei kantonalen Volksabstimmungen keine Chance.
1951 Ein Bericht des Bundesrates bezeichnet eine eidgenössische Vorlage für das Frauenstimmrecht angesichts der vielen ablehnenden kantonalen Volksabstimmungen als verfrüht.
1957 Eine kantonale Volksabstimmung im Kanton Basel-Stadt ermöglicht grundsätzlich die Einführung des Frauenstimmrechts auf Stufe der Bürgergemeinden. 1958 wird dieses in der Bürgergemeinde Riehen mit 64% Ja zu 34% Nein konkret eingeführt.
1957 Der Bundesrat zieht - mitten im Kalten Krieg - die Schlussfolgerungen aus der Tatsache, dass im 2. Weltkrieg erstmals mehr Zivilpersonen als Soldaten getötet worden sind und plant die Verstärkung des Zivilschutzes [staatliche Organisation, die Schutzräume und Lebensmittel für die Zivilbevölkerung für den Kriegs- und Katastrophenfall bereitstellt]. Dazu soll ein Zivilschutzobligatorium auch für Frauen eingeführt werden. Nun wehren sich der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht SVF, der Schweizerische Katholische Frauenbund und der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen BSF gegen neue Pflichten ohne neue Rechte für die Frauen. Um das Zivilschutzprojekt zu retten, legt der Bundesrat rasch einen Entwurf zur Einführung des Frauenstimmrechts vor.
1958 Die Gegner des Frauenstimmrechts stimmen der Vorlage im Parlament aus taktischen Überlegungen zu: sie hoffen, dass ein negativer Volksentscheid die Forderung für Jahrzehnte vom Tisch wischt.
1958 Zweite Ausstellung über Frauenarbeit (SAFFA) in Zürich (17.7.-15.9). Die Veranstalterinnen wollen im Vorfeld der Volksabstimmung bewusst leise auftreten und thematisieren die wertvolle Mitarbeit der Frauen in der Wirtschaft, nicht aber das Frauenstimmrecht. In einer nicht von den Organisatorinnen geführten Buchhandlung auf dem Areal der SAFFA liegt allerdings das Buch "Frauen im Laufgitter: Offene Worte zur Stellung der Frau" auf - eine bitterböse Situationsanalyse der Juristin Iris von Roten. Die ungeschminkte Kampfschrift löst einen Skandal aus, viele Frauen und Frauenverbände distanzierten sich davon. Manche sehen darin gar einen Grund für die Ablehnung des Frauenstimmrechts 1959.
1959 Nur die Sozialdemokraten (SP), die Gewerkschaften, der Landesring der Unabhängigen (LdU, Partei des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler) und die kommunistische Partei der Arbeit (PdA) geben die Ja-Parole zum Frauenstimmrecht aus. Die Freisinnigen (FDP) und die Katholisch-Konservative Volkspartei (heute: Christlichdemokratische Volkspartei CVP) können sich nicht zu einer Empfehlung durchringen (Stimmfreigabe). Die Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, seit 1971 Schweizerische Volkspartei SVP), aber auch der mitgliederstarke Gemeinnützige Frauenverein und die Landfrauen beschliessen die Nein-Parole.
1959 Am 1. Februar wird das Frauenstimmrecht in der eidgenössischen Volksabstimmung mit 654'939 (67%) Nein gegen 323'727 (31%) Ja bei einer Stimmbeteiligung von 67% wuchtig verworfen, in den kleinen Kantonen der Zentral- und Ostschweiz (OW, NW, SZ, UR, AR, AI) liegt die Ablehnung über 80%, in Innerrhoden gar bei 95%. Nur in drei französischsprachigen Kantonen ergeben sich Ja-Mehrheiten: Waadt (51%), Genf (60%) und Neuchâtel (52%). In der Waadt wird am gleichen Tag das Frauenstimmrecht auf kantonaler und Gemeinde-Ebene gutgeheissen. Neuchâtel folgt im September 1959, Genf 1960.
1959 Gründung des Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht
1966 Annahme des Frauenstimmrechts in kantonalen und Gemeinde-Angelegenheiten im Kanton Basel-Stadt als erstem deutschschweizer Kanton.
1968 Frauenstimmrecht im Kanton Basel-Land.
1969 Frauenstimmrecht im Kanton Tessin.
1962-1968 Der Bundesrat will 1962 dem Europarat beitreten und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen. Ehrlicherweise ist ein Vorbehalt bezüglich des Frauenwahlrechts anzubringen. Die fortschrittlichen Frauenverbände befürchten eine weitere Verschleppung der Gleichberechtigung und protestieren lautstark. In den 1960er Jahren verändert sich das gesellschaftliche Klima weltweit. Die Studenten- und Jugendunruhen vom Frühling 1968 sind nur die sichtbare Spitze einer weit reichenden Umwälzung. Der Bundesrat entscheidet sich, mit einer neuen Volksentscheidung Klarheit zu schaffen. Diesmal scheint eine Annahme des Frauenstimm- und wahlrechts wahrscheinlich. Die Gegner halten sich zurück, um die zukünftigen Wählerinnen nicht von Anfang an zu vergraulen.
1971 Am 7. Februar nehmen die Stimmbürger das eidgenössische Stimm- und Wahlrecht für Frauen mit 621'109 (66%) Ja zu 323'882 (34%) Nein bei einer Stimmbeteiligung von 58% deutlich an. 15½ Kantone stimmen zu, 6½ Kantone der Zentral- und Ostschweiz (UR, SZ, OW, GL, SG, TG, AR und AI) lehnen mit teilweise immer noch massiven Nein-Mehrheiten ab. Gleichzeitig wird das Frauenstimmrecht in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten in Fribourg (74% Ja), Schaffhausen (57% Ja), Zug (63% Ja) und Aargau (52% Ja) angenommen.
1971 Bei den Nationalratswahlen vom 31. Oktober werden elf Frauen (5,5%) gewählt. In den folgenden Jahren steigt der Frauenanteil langsam.

Das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene

Die Mehrheit der Kantone führte das Frauenstimm- und Wahlrecht auf kantonaler und Gemeindeebene kurz vor oder nach der eidgenössischen Abstimmung von 1971.

Nur die beiden Halbkantone Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden weigerten sich noch jahrzehntelang, auf kantonaler und Gemeindeebene nachzuziehen. In den 1980-er Jahren nahm der Druck der öffentlichen Meinung auf die Appenzeller stetig zu. Die Männer in Appenzell Ausserrhoden ergriffen 1989 die letzte Chance, den längst überfälligen Schritt zu vollziehen. Doch in Appenzell Innerrhoden tat sich immer noch nichts.

Seit der ersten schriftlichen Verfassung der Schweiz von 1798 gaben die Texte der eidgenössischen und der kantonalen Verfassungen nie ausdrücklich Aufschluss darüber, ob mit dem Begriff "Stimmbürger" nur Männer oder eben auch Frauen gemeint seien. Während vor 200 Jahren im damaligen gesellschaftlichen Kontext wohl selbst fortschrittliche Leute davon ausgegangen wären, dass die Frauen nicht mitgemeint seien, schien eine solche Interpretation gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Westeuropa doch einigermassen anachronistisch [unzeitgemäss]. Allerdings hatten alle anderen Kantone ihre Verfassungen oder zumindest ihre Wahlgesetze ausdrücklich angepasst, um das Frauenstimmrecht einzuführen. Doch am 27.11.1990 entschied das Bundesgericht, dass zur Einführung des Frauenstimmrechts in Appenzell Innerrhoden weder eine Verfassungs- noch eine Gesetzesänderung und somit auch keine Volksabstimmung notwendig sei, es genüge vielmehr, die bestehenden Texte so zu interpretieren, dass die Frauen mitgemeint seien. Der Entscheid des Bundesgericht überraschte weniger in der Sache (Einführung des Frauenstimmrechts) als in der Argumentation. Das Bundesgericht konnte sich in der Sache auf den 1981 eingeführten Gleichstellungsartikel der Bundesverfassung sowie auf den Grundsatz berufen, dass Bundesrecht Vorrang vor kantonalem Recht hat. Die Kröte aus Bern wurde denn auch in Appenzell Innerhoden innert nützlicher Frist, wenn auch widerwillig geschluckt.



Was lange währt wird endlich gut

Das Frauenstimmrecht als Beispiel für die langsamen Prozesse der Direkten Demokratie

Der Durchbruch für das Frauenwahlrecht wie auch für andere Aspekte der Gleichberechtigung kam also erst im 20. Jahrhundert. Dabei gingen tendenziell diejenigen Länder voraus, die eine moderne Verfassung erst spät einführten, während die Schweiz trotz (oder vielleicht etwa gar wegen?) ihrer langen demokratischen Tradition weit hinterher hinkte.

Es scheint, dass eine fortschrittliche Regelung in einem grossen Paket (z.B. mit der Abschaffung der Monarchie in der Sowjetunion, Österreich und Deutschland) einfacher einzuführen ist, als über die Änderung einer bestehenden demokratische Ordnung, die sich grundsätzlich sehr gut bewährt hat.

Am Beispiel der Frauenrechte zeigt sich, dass eine Demokratie grundsätzlich nicht fortschrittlicher ist als andere Staatsformen. Hat sich die Mehrheit der Bevölkerung einmal an bestimmte Regelungen gewöhnt und damit leben gelernt, so neigt sie im Gegenteil mehr als Parlamentarier und Regierungsmitglieder dazu, am sogenannt "Bewährten" festzuhalten - selbst dann wenn dieses für Einzelne oder ganze Bevölkerungsgruppen auf stossende Ungerechtigkeiten hinausläuft.


Links und Literatur zum Frauenstimm- und Wahlrecht

  • Geschichte des Frauenstimmrechts (Yvonne Voegeli, in: Historisches Lexikon der Schweiz)
  • Voegeli Yvonne, Zwischen Hausrat und Rathaus, Diss. Zürich 1997
  • Renate Wegmüller, Die Frau gehört ins Haus Frauenstimmrecht und seine Hindernisse in der Schweiz und im Kanton Bern (Berner Lizenziatsarbeit von 1998)
  • Iris von Roten, Frauen im Laufgitter, 1957, (reprint Zürich 1991).
    Dieses engagierte Buch heizte die Diskussion um das Frauenstimmrecht vor der Volksabstimmung von 1959 an, bei der das Frauenstimmrecht abgelehnt wurde. Ob das kämpferische Buch eher Verständnis für das Anliegen geweckt oder im Gegenteil den Widerstand konservativer Männer angestachelt hat, bliebe zu untersuchen. Beachtung fand es jedenfalls, denn an der Basler Fasnacht des folgenden Jahres tauchten die "Frauen im Laufgitter" als Sujet auf.
  • Frauengeschiche(n) (Hg. Elisabeth Joris, Heidi Witzig), Zürich 1987
  • Heraus mit dem Frauenwahlrecht. Die Kämpfe der Frauen in Deutschland und England um die politische Gleichberechtigung (Hg. Christl. Wickert), Pfaffenweiler 1990
  • Ruckstuhl Lotti, Frauen sprengen Fesseln. Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz, Bonstetten 1986
  • Mesmer Beatrix, Ausgeklammert - Eingeklammert, Basel 1988
  • Hardmeier Sybille, Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890-1930), Diss. Zürich 1997
  • Frauen Macht Geschichte: frauen- und gleichstellungspolitische Ereignisse in der Schweiz 1848-1998, 2 Mappen, 1998-99
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